Team Bösewicht
vergnüglicher Nachtgieger-Diskurs
Auf dem Speiseplan
des Monsters
ein humorvoller Schurke
Wer mich etwas kennt, weiß, dass ich ein Faible für dunkle Charaktere, abgründige Handlungsweisen und die Schattenseiten der menschlichen Existenz habe.
Kurzum: Ich bin ein schamloses Groupie vom Team Bösewicht!
Was wären ein Film oder ein Buch ohne einen herrlich garstigen Antagonisten? Mit dessen Qualität steht und fällt die komplette Handlung. Als Schauspielerin oder Buchfigur würde ich darin liebend gern eine ganz besonders schurkische Rolle übernehmen. Selbstredend akzeptierte ich dafür bereitwillig die unvermeidlich folgende und möglichst grausame Bestrafung. Oder auch nicht. Je nach Finale des Skripts.
In meinem Buchprojekt »Rosi und der Nachtgieger« habe ich mich einem ausnehmend üblen Bösewicht gewidmet: Der fränkischen Kultfigur des Nachtgiegers, dem ultimativen Monster meiner Kindheit. Ein besonderer Reiz lag darin, mich in diese Schreckgestalt hineinzuversetzen und ihr ein Maximum an Leben einzuhauchen.
Wie sieht der Nachtgieger aus? Was fühlt und denkt er? Was ist seine Motivation? Was tut er, wenn er nicht gerade auf der Jagd nach unartigen Kindern ist? Wo schläft er? Woher kommt er? Fragen über Fragen, auf die ich Antworten gesucht habe.
Jedermann in Franken »kennt« den Nachtgieger. Doch es ist erstaunlicherweise sehr wenig über ihn »bekannt«. Außer, dass er eine Art schwarzer Mann ist, der Kinder frisst und fliegen kann. Ähnlich einem Vampir. Natürlich ist er äußerst schrecklich und furchterregend. Ich habe die unterschiedlichsten Menschen nach ihm gefragt. Niemand wusste mir Näheres über ihn sagen. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als auf meine vagen Kindheitserinnerungen zurückgreifen. Den Rest habe ich der Fantasie überlassen. Sie war in gewohnt zuverlässiger Weise zur Stelle.
Am Rande bemerkt: Im fränkischen Dialekt bezeichnet der Begriff »Giger« bzw. »Gieger« ein eher profanes Geschöpf, namentlich einen »Hahn«. Wobei der Gruselfaktor eines solchen naturgemäß sehr begrenzt ist.
Natürlich habe ich mich auch ausgiebig mit dem Speiseplan meines Lieblingsmonsters beschäftigt und einige Details zusammengetragen:
Die Ursprünge des Nachtgiegers liegen weitgehend im Dunkeln. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er bereits im Paläolithikum, der Altsteinzeit, flachschädelige und äußerst streng riechende Exemplare des Homo neanderthalensis durch die mittelfränkische Urzeit gejagt hat.
Mit der Besatzung der Provinz Raetien durch das Römische Imperium hat sein Speiseplan eine außerordentliche kulinarische Bereicherung erfahren. Vermutlich lag dies vor allen an den exotischen Kräutern, die in der römischen Küche reichlich Verwendung fanden: Basilikum, Rosmarin, Thymian und Oregano, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Nachtgieger schätzte es insbesondere, wenn sich die Legionäre vor dem Verzehr mit dem zu damaligen Zeiten recht beliebten Falernerwein marinierten. Diese neuartige Zubereitungsart verlieh seinen Mahlzeiten bis dahin nie gekannte Geschmacksnuancen. Hinzu kamen die fremdartigen Lebensgewohnheiten der Römer, die in den Prachtbauten der sogenannten »Thermen« ausgiebig ihrer Lust am Baden frönten. Dem Nachtgieger gefielen Geruch und Geschmack von frisch gewaschenem Fleisch vortrefflich, so dass er ab diesem Zeitpunkt sämtliche Germanen mitsamt ihrer nachlässigen Waschgewohnheiten kurzerhand von seiner Menükarte strich. Von diesem Zeitpunkt an betrachtet er sich selbst als ein »zivilisiertes« Ungeheuer.
Abseits der menschlichen Nahrungsquellen ist der Nachtgieger ein Allesfresser. Vom ausgewachsenen Rindvieh bis hin zum Höckerschwan, den er sich nachts aus dessen Nest am Wassergraben rupft, verschlingt er alles, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt. Ach ja, bevor ich es vergesse: Zur Not darf es zwischendurch auch einmal ein Veganer sein, obwohl diese enttäuschend fad schmecken sollen.
Seine Tischmanieren lassen wir an dieser Stelle besser unerwähnt. Mit ihnen steht es nicht unbedingt zum Besten. Möglicherweise könnte man sie euphemistisch formuliert als recht »unappetitlich« umschreiben.
Besonders interessiert war ich natürlich daran, ob man den düsteren Gerüchten Glauben schenken darf und der Nachtgieger freche Kinder verspeist, die abends nicht zur rechten Zeit brav zuhause sind. Was ich darüber herausgefunden habe, ist im Buch nachzulesen.
Jemand hat mir an einem entscheidenden Punkt hinsichtlich der Gestaltung meines Monsters einen weisen Rat und dadurch einen »Schubberer« (fränkische Mundart für Stoß, Schubs) in eine ungeahnte Richtung gegeben. Ich habe seine Worte beherzigt und bin selbst erstaunt, wie sich das Buch dadurch komplett anders entwickelt hat als erwartet.
Ich mag den humorvollen Bösewicht, welcher dabei zum Vorschein gekommen ist! Er ist mir regelrecht ans Herz gewachsen.
Dieses Projekt hat mir vor allem eines wieder einmal sehr eindrücklich vor Augen geführt:
Ich möchte niemals die Fähigkeit verlieren, mich vollends für eine Sache begeistern und für sie »brennen« zu können! Es ist mein ganz persönliches Basilikum in der Marinade des Lebens!
Fabia Mortis