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Finsterblüte

Poesie aus dem Schatten

Finsterblüte

Eine schöne junge Nonne, die sich unglücklich in einen lasterhaften Edelmann verliebt, eine uralte Legende um ein versunkenes Kloster und ein verfluchter See aus einer längst vergangenen dunklen Zeit stehen im Mittelpunkt dieser Schauermär im Stil einer klassischen Groschenhefterzählung. Umrahmt von Fabia Mortis‘ düsterer Schattenpoesie bewegen sich die Hauptfiguren, die unzüchtige Maria und der leichtfertige Junker Jan, durch die verhängnisvolle Handlung, die aus einem Albtraum heraus entstand, auf das unvermeidliche Finale zu.

Finsterblüte

Leseprobe

Finsterblüte

See der Finsternis

 

Vermutlich ist es eine besondere Fähigkeit des Menschen, (Ur-)Ängste nachts im Schlaf zu verarbeiten. Seit ich denken kann, habe ich immer wieder denselben Traum. Vom Ertrinken. In einem tückischen See. Etwas greift in der Dunkelheit nach mir, zieht mich unerbittlich hinab in eiskalte Tiefen. Ich bin rettungslos verloren und sterbe auf elende Weise – von schattenhaften Untieren umgeben. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass ich es auch in der Realität – unbewusst und fern von nächtlichen Albträumen – vorziehe, meine Bahnen in einem glasklaren Schwimmbadbecken zu ziehen. Dort gibt es keine hungrigen Monster, und die Sicht nach unten ist wohltuend frei und unverstellt.

 

Neben dem Fallen aus großer Höhe ist das Ertrinken in dunklen Tiefen eines der Motive, die mich nachts immer wieder beschäftigen. Nach einem besonders einprägsamen Traumerlebnis habe ich eine Kurzgeschichte über einen See verfasst, über den sich der Pesthauch des Bösen gebreitet hat. Als ich dann noch von einer alten Volksmär um ein versunkenes Kloster und dessen unzüchtige Nonnen hörte, war die Idee zu »Finsterblüte« geboren.

Irgendwo da draußen existiert ein Ort. Einer von der besonderen Art. Allerdings keiner von der lichtdurchfluteten Sorte. Er ist vielmehr von sehr düsterer Natur. Ein Flecken von rätselhafter Dunkelheit. Voll endloser Angst und mitternachtsfarbenem Entsetzen. Obwohl er zunächst freundlich und einladend erscheint. Ich weiß nicht, wo er zu finden ist. Vielleicht gibt es ihn nur in meinem geheimen verschlungenen Traum. In meiner blühenden Fantasie.

 

Dieser Ort ist ein See. Glasklar, mit kristallenem aquamarinblauem Wasser, in das man unwillkürlich seine bloßen Füße tauchen möchte. Er ist eingebettet in eine idyllische schneebedeckte Hügellandschaft, zu deren Füßen sich undurchdringliche dunkelgrüne Nadelwälder entfalten. So weit das Auge reicht. Bis zum Horizont. Der See ist wunderschön. Anziehend und abgrundtief böse zugleich. Von nahezu finsterer poetischer Anmut.

 

Nacht für Nacht stehe ich am Ufer dieses ungetrübten Gewässers. Und schaue staunend auf seine trügerische Reinheit. Es übt einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus, obwohl ich instinktiv fühle, dass ich verloren bin, wenn ich ihm zu nahe komme. Im vermeintlich so durchscheinenden Wasser lauert der Tod. Und zwar einer von der bitteren und grausamen Sorte. Denn ich stehe am Geisterbärensee.

 

Ihr kennt ihn nicht?

Bis vor einigen Nächten wusste auch ich noch nichts von diesem verfluchten Ort. Aber seither stehe ich im Traum wieder und wieder an seinem abschüssigen Gestade und blicke wie paralysiert hinein, beobachte fasziniert die unzähligen, nebelhaften Schatten, die sich darin flink unter der ruhigen, jedoch tückischen Wasseroberfläche bewegen und geduldig auf ein ahnungsloses Opfer warten.

 

Erschreckt erkenne ich, dass es sich bei den geschmeidigen Schemen um Bären handelt. Genauer gesagt um Geisterbären. Ich frage mich, wie sie überhaupt unter Wasser bleiben können und trete näher heran, obwohl ich sehr wohl um die Gefahren weiß. Neugierig recke ich den Kopf – ich möchte nur kurz schauen, ob ich nicht einem verlockenden Trugbild aufgesessen bin.

 

Und tatsächlich. Es sind Geisterbären, die dort so rege umher schwimmen. Keiner von ihnen taucht auch nur für eine einzige Sekunde auf, um Atem zu schöpfen. Ich empfinde das als sehr merkwürdig. Geradezu widernatürlich. Abstoßend. Trotzdem streife ich meine Schuhe ab, möchte dieses kühle, betörende Nass unbedingt an meinen nackten Füßen fühlen. Nur für einen Augenblick, ich gehe auch nicht allzu weit vom Rand weg. Dann kann mir nichts Schlimmes geschehen.

 

Schon tauche ich meine Zehen hinein. Ganz nah an seinem Saum. Und das Gefühl, das ich dabei empfinde, ist derart exquisit, dass ich für den Bruchteil eines Augenblicks wie verzaubert meine Augen schließe. Und dieser Lidschlag eines kurzen, aber bedeutungsvollen Moments genügt, um mir den Grund unter den Füßen wegzuziehen, mich meiner Balance zu berauben und von einem unaufhaltsamen Sog erfasst zu werden. Der mich mit unvermuteter Energie ins dunkle Herz des Sees zerrt. Langsam sinke ich dort zum tiefen Grund hinab und kann dabei die düsteren Schatten sehen, die über mir weiter ihre munteren Bahnen verfolgen.

 

Starr vor Angst blicke ich mit zunehmender Hoffnungslosigkeit zur ersehnten Oberfläche empor, die sich mir von Sekunde zu Sekunde mehr und mehr entzieht und bald in unerreichbare Ferne rückt. Ich habe furchtbare Angst, dass die Geisterbären mich entdecken. Ich kann nicht mehr atmen, und schließlich wird mir schwarz vor Augen.

 

Nachtumfangen schwebe ich im Nichts.

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